Der ein oder andere fragt sich sicherlich, warum ich als Frau einen Artikel über Hochsensibilität bei Männern schreibe.

Da muss ich ein wenig weiter ausholen und einen Sprung in meine Vergangenheit, und davon ausgehend einen Abstecher in mein Privatleben unternehmen.

Bedingt dadurch, dass ich mich in der Gesellschaft von Frauen weniger wohl gefühlt habe, als in der Gesellschaft von Männern, hatte ich zu einem Zeitpunkt in meinem Leben mehr beste Freunde, als Freundinnen. Ich fand die Gespräche interessanter und deren Art und Weise zu Denken und Dinge anzugehen und umzusetzen einfach spannender.

Vielleicht habe ich mich deshalb für ein Ingenieursstudium entschieden, und knapp 20 Jahre in einer von Männern dominierten Arbeitswelt gearbeitet. Für mich war das damals, zumindest von dieser Seite aus betrachtet, das perfekte Arbeitsumfeld.

Bedingt durch meine eigene Hochsensibilität, weiß ich zumindest, wie es sich anfühlt auf weiblicher Seite. Ich war daher immer auch neugierig, wie es sich auf männlicher Seite anfühlt und habe daher mit Männern gesprochen, um mir ein Bild davon zu machen.

Eine kurze Definition von Hochsensibilität

Auch wenn ich in diesem Artikel über hochsensible Männer schreibe, ist Hochsensibilität, auch als Hochsensitivität oder HSP (Highly Sensitive Person) bezeichnet etwas, was beide Geschlechter gleichermaßen betreffen kann.

Es bezeichnet eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber äußeren Reizen und eine tiefe Verarbeitung von Sinneseindrücken und emotionalen Reizen. Menschen, die als hochsensibel gelten, nehmen ihre Umwelt intensiver wahr als der Durchschnitt und reagieren oft empfindlicher auf Reize wie Geräusche, Licht, Gerüche oder auch auf zwischenmenschliche Beziehungen und emotionale Ereignisse.

Hochsensibilität ist keine psychische Störung, sondern es ist die Ausprägung eines Persönlichkeitsmerkmals. Dieses ist bei einigen Menschen stärker ausgeprägt ist als bei anderen.

Man schätzt, dass ungefähr 15 bis 20 Prozent der Menschen, aber auch der Tiere, hochsensible Wesen sind.

Einige charakteristische Merkmale von hochsensiblen Menschen

Um Hochsensibilität noch besser greifbar zu machen, beschreibe ich nachfolgend ein paar charakteristische Merkmale noch etwas genauer.

Tiefe emotionale Empfindsamkeit: Hochsensible Menschen erleben Gefühle besonders intensiv. Sie sind oft sehr einfühlsam und empfindsam und neigen dazu, sich stark in die Emotionen anderer Menschen hineinzuversetzen.

Empfindlichkeit gegenüber Sinnesreizen: Sie nehmen äußere Reize wie Lärm, Helligkeit, Gerüche und andere sensorische Reize intensiver wahr. Eine laute oder hektische Umgebung kann schnell zu Überreizung, Überforderung und in der Folge zu Erschöpfung führen. Regelmäßige Ruhepausen sind daher wichtig, um die Sinnesreize zu verarbeiten und zur inneren Ruhe zurückzufinden.

Tiefe Verarbeitung: Hochsensible Menschen neigen dazu, Informationen und Eindrücke gründlich und tiefgründig zu verarbeiten. Sie denken oft lange und gründlich über Informationen nach und verarbeiten sie auf eine tiefgründige Weise.

Überstimulation: Sie sind in der Lage, subtile Details und Nuancen in ihrer Umgebung mit erhöhter Empfindlichkeit wahrzunehmen, was leicht zu einer Überstimulation und wiederum zu Erschöpfung führen kann. Daher benötigen sie regelmäßige Ruhepausen, um sich zu erholen.

Neigung zu Stress und Angst: Die erhöhte Empfindlichkeit kann dazu führen, dass hochsensible Menschen anfälliger für Stress und Angst sind.

Starke Intuition: Hochsensible Personen verlassen sich oft auf ihre Intuition und haben ein ausgeprägtes Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen und Stimmungen.

Kreativität: Hochsensible Menschen neigen dazu, kreativ und fantasievoll zu sein. Sie können ihre tiefe Wahrnehmung und emotionale Sensibilität in Kunst, Musik oder anderen kreativen Ausdrucksformen zum Ausdruck bringen.

Hochsensibilität kann sowohl Vor- als auch Nachteile haben. Menschen mit dieser Eigenschaft können kreative und empathische Individuen sein, aber sie müssen oft Strategien entwickeln, um mit den Herausforderungen der überwältigenden Reize und Emotionen umzugehen.

Für diejenigen, die es genauer wissen wollen, gibt es Tests, die man machen kann. Auf der Internetseite vom Netzwerk Hochsensibilität findest Du einen Test von der US-amerikanischen Psychologin Elaine Aron, der Begründerin des Begriffes der Hochsensibilität.

Hier geht es zum Test

Was ist bei hochsensiblen Männern anders, als bei Frauen?

Das ist gar nicht so einfach auf den Punkt zu bringen, ohne in Klischees und alte Rollenbilder abzudriften.

Dennoch liegt hier der Unterschied in der verschiedenartigen Sozialisation von Männern und Frauen – auch heute noch.

Die Frage, der wir nachgehen dürfen, und das darf sich jeder einzelne für sich selbst beantworten ist die, welche „männlichen“ Werte und Normen habe ich verinnerlichst und wie drücke ich diese in meinem Verhalten aus?

Wenn wir davon ausgehen, dass der Lebensstil und unser Verhalten einen entscheidenden Einfluss auf unsere körperliche und psychische Gesundheit haben: was davon schadet mir mehr, als dass es mir nützt? An dieser Stelle möchte ich auch nochmal das Thema Burnout oder Burn-Down-Spirale ins Gedächtnis rufen.

 Eine weitere Frage möchte ich aufwerfen: wenn Du an „typisch männliche“ Attribute denkst, welche wären das?

Ich werfe mal ein paar Attribute in den Raum: körperliche Stärke, Durchsetzungsvermögen, Selbstständigkeit, Risikobereitschaft, Mut, beruflicher und privater Erfolg, sexuelle Leistungsfähigkeit, …

Kämen Dir auch die Attribute wie emotional, feinfühlig, sensibel, … in den Sinn?

Ich vermute, dass die meisten Menschen zuerst an die Attribute der ersteren Auflistung denken, weniger an die Zweitere.

Männer lernen von Kindesbeinen an, dass sie stark sein sollen. Denn die schnell dahingesprochenen Worte wie: „Stell Dich nicht so an!“ oder „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“ schließen von vorn herein emotionale und sensible Regungen aus. Diese dürfen nicht sein und werden daher, vielfach unbewusst, aberzogen.

Mit weitreichenden Folgen: denn Menschen, das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen, die ihre Emotionen unterdrücken und ihre Sensibilität verstecken, verleugnen sich selbst. Das führt zu Selbstablehnung und zu körperlicher und psychischer Destabilisierung und irgendwann zu Krankheit.

Dadurch, dass Männer von Anfang an in dieses Rollenbild gedrängt werden, bezahlen sie mit ihrer guten Gesundheit. Wer sich hier von den „typisch männlichen“ Werten lösen kann, hat eine gute Chance, seine körperliche und mentale Gesundheit ins Gleichgewicht zu bringen.

Wie ist Deine Sicht auf das Rollenbild „Mann“?

Herausforderungen hochsensibler Männer im Alltag

Es gibt einige Herausforderungen, die den Alltag eines Hochsensiblen bestimmen, wie schon im ersten Absatz „Eine kurze Definition von Hochsensibilität“ beschrieben wurde. Dieses sind in der Regel Probleme, mit denen Betroffene durch ihre Kreativität und ihren Einfallsreichtum durch adäquate Lösungen gut umzugehen lernen.

Weiters gibt es Herausforderungen, bei denen es näheres Hinschauen bedarf, um entlastende Lösungen zu finden.

Emotionale Intensität und Überreiztheit: Durch Reizüberflutung geraten hochsensible Männer schnell in einen Zustand von Stress. Flankiert wird dieser Zustand von starken Emotionen und weitreichenden Gedanken, was häufig als unangenehm und einschränkend empfunden wird.

Selbstwertproblematik und fehlende Selbstakzeptanz: Das wiederkehrende Rollenbild eines „typischen Mannes“, lässt bei hochsensiblen Männern das Gefühl aufkommen, „Nicht männlich genug zu sein“ oder sich anderen Männern unterlegen zu fühlen. Daran knüpfen sich verschiedentliche Grundannahmen über die eigene Person, wie „Ich bin zu sensibel“, „Ich bin zu weich“, …, die zu einem schwach ausgeprägten Selbstwertgefühl oder Selbstablehnung führen können.

Mangelnde Selbstfürsorge: Der heutige Lebensstil ist eher extrovertiert geprägt (wobei ein hochsensibler Mensch nicht zwingend introvertiert sein muss!) und macht einem Hochsensiblen das Leben nicht gerade einfach. Die gesellschaftlich vorgegeben Normen, Werte, Ideale und Veränderungen werden von der Mehrheit vorgegeben und bestimmt. Die Mehrheit sind Männer, die weniger sensibel in ihrer Ausprägung sind, an denen sich hochsensible Männer orientieren. Das ist dann häufig ein Lebensstil, der nicht zum eigenen Temperament passt, was sich nicht nur auf das Arbeitsumfeld, sondern auch auf das weiter reichende Lebensumfeld beziehen kann. Die Folgen davon sind Unzufriedenheit, Selbstzweifel, Gereiztheit, Erschöpfung, ungesunde Verhaltensweisen, dauerhafte Anspannung und auch ängstlich-depressive Verstimmungen.

Hochsensibilität und Burnout

Burnout entsteht unter anderem dann, wenn wir unsere Bedürfnisse und Wünsche vernachlässigen oder unterdrücken.

Hochsensible neigen stark dazu, ihre Bedürfnisse hintenan zu stellen. Ganz weit vorn steht da das Bedürfnis nach Ruhe. Doch Ruhepausen sind nur im 30-Minuten-Takt zwischen zwei Arbeitsblöcken gesellschaftlich akzeptiert. Wer mehr Pausen braucht, hat Pech gehabt oder funktioniert einfach nicht richtig.

Das bringt gerade hochsensible Menschen dazu, über ihre Möglichkeiten zu arbeiten und sich beruflich wie privat so zu verausgaben, dass die Burn-Down-Spirale als Belohnung winkt.

Ca. 15-20% der Menschen sind hochsensibel

Hochsensible Männer in Führungspositionen

Für hochsensible Selbstständige, Unternehmer und Führungskräfte ergeben sich die Probleme in genannter Weise. Dennoch gibt es noch ein paar Besonderheiten, die ich hier noch nennen möchte.

Es ist wichtig zu beachten, dass hochsensible Männer genauso effektive Führungskräfte sein können wie andere, wenn sie ihre einzigartigen Fähigkeiten und Herausforderungen verstehen und bewusst damit umgehen. Die Führung in Organisationen profitiert von Vielfalt und unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen, einschließlich Hochsensibilität.

Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal ist ein Attribut, das bei Unternehmern und in Führungsebenen oft übersehen oder unterschätzt wird. In einer Welt, die sich immer stärker auf zwischenmenschliche Beziehungen und emotionale Intelligenz konzentriert, sind hochsensible Männer als Führungskräfte eine wertvolle Ressource.

Ihr Einfühlungsvermögen in Kunden und Mitarbeiter, ihre Entscheidungsfähigkeit und ihre Fähigkeit zur Kommunikation können dazu beitragen, harmonische und leistungsstarke Teams zu schaffen. Es ist an der Zeit, die Stärke der Hochsensibilität in der Führung anzuerkennen und zu fördern.

Um als hochsensibler Unternehmer oder Führungskraft erfolgreich zu sein, ist es wichtig, die eigenen Stärken zu nutzen und die Herausforderungen zu bewältigen. Selbstbewusstsein, Selbstfürsorge und die Fähigkeit, mit Stress umzugehen, sind Schlüsselkomponenten für den Erfolg.

Die Stärken hochsensibler Männer als Führungskräfte

Empathie und zwischenmenschliche Fähigkeiten: Hochsensible Männer sind oft hervorragende Zuhörer und können sich gut in die Gefühle und Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter und/oder Kunden einfühlen. Diese Fähigkeit fördert ein offenes und vertrauensvolles Arbeitsumfeld und verbessert die zwischenmenschlichen Beziehungen im Team und zum Kunden. Zudem ermöglicht es ihnen, kundenorientierte Lösungen zu entwickeln und langfristige Beziehungen aufzubauen.

Kreativität und Innovation: Die intensive Wahrnehmung von Details und Nuancen kann hochsensiblen Unternehmern und Führungskräften bei der Identifizierung von Marktlücken und innovativen Lösungen helfen.

Ethik und Werte: Hochsensible Männer neigen dazu, ethische Werte hochzuhalten und moralische Integrität zu zeigen. Dies kann ihnen helfen, vertrauenswürdige Geschäftsbeziehungen aufzubauen und ein positives Unternehmensimage zu schaffen.

Kommunikation: Die Fähigkeit zur empathischen Kommunikation ermöglicht es hochsensiblen Führungskräften, effektiver mit ihren Teams zu interagieren. Sie können klare Erwartungen setzen und konstruktives Feedback geben, was zu einer besseren Leistung und Mitarbeiterzufriedenheit führt.

Krisenmanagement: Hochsensible Männer sind oft ruhig und besonnen in stressigen Situationen. Sie können eine wichtige Rolle bei der Bewältigung von Krisen und der Förderung der Resilienz ihres Teams spielen.

Was Du tun kannst

Am Anfang steht die Selbstakzeptanz und die Selbstannahme, dass man(n) so ist, wie man eben ist. Erst dann fällt der Umgang mit der eigenen Persönlichkeit viel leichter und eine Veränderung der allgemeinen Situation wird möglich.

Lerne auch Deine Emotionen anzunehmen, sich ihnen zuzuwenden und sie zu verstehen. Denn so bist Du in der Lage diese zu regulieren, kannst Dich in stressigen Situationen selbst beruhigen und fühlst Dich nicht mehr ohnmächtig Deinen Gefühlen ausgeliefert.

Oftmals finden sich auch Verstrickungen aus der Kindheit, die Dich bis heute beeinflussen und Dich weniger selbstbewusst fühlen lassen oder Du Dich nicht selbst annehmen kannst. Wenn Du Dich diesen Themen stellst und sie löst, kannst Du befreiter in die Zukunft gehen und lernst Frieden mit Dir und Deiner einzigartigen Persönlichkeit zu schließen.

Verbessere Deine Selbstfürsorge. Schau nach Deinen Bedürfnissen und respektiere Deine Grenzen. Wenn Dein Körper zum Beispiel Ruhe braucht, dann gönne ihm Ruhe.

Entwickele Deine Strategien zur Stressbewältigung, die zu Dir passen.

Setze klare Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben, um Überreizung und Burnout zu verhindern.

Lass Dir helfen. Im Gegenteil, es ich nicht „unmännlich“ nach Hilfe zu fragen und diese in Anspruch zu nehmen.

Ruhe gegen übermäßige Reize von Außen

Und was können Frauen tun?

Zum Schluss möchte ich die Frauen wieder mit ins Boot holen: auch wir können eine Menge mit dazu beitragen, dass sich hochsensible Männer sich in ihrer Persönlichkeit so angenommen fühlen, wie sie sind.

Eigentlich ist es ganz einfach: indem wir sie so annehmen und akzeptieren wie sie sind und nicht das Unmögliche von ihnen verlangen: auf der einen Seite der machohafte Verführer und auf der anderen Seite der emotionale Versorger zu sein.

Bisweilen verlangen wir von Männern die Quadratur des Kreises.

Frauen haben in diesem Falle einfach ein Privileg: es ist gesellschaftlich akzeptiert, wenn sie ihren Gefühlen auch mal freien Lauf lassen, sie sich sensibel zeigen oder auch mal die ein oder andere Träne fließt.

Wenn wir uns alle mit Mitgefühl und Akzeptanz begegnen, ist die Tür offen für eine verbindende, vertrauensvolle Kommunikation und ein gefühlvolles Miteinander.

 

P.S.: Ich habe versucht, mich möglichst wenig in Klischees aufzuhalten. Doch sicherlich ist mir das nicht immer gelungen. Ich bitte um Nachsicht, denn mir ist bewusst, dass die Welt nicht nur schwarz und weiß ist, sondern eine Menge Grautöne und Farben dazwischen existieren.

P.P.S.: Wer Weiteres dazu lesen möchte, dem kann ich das Buch „Hochsensible Männer“* von Tom Falkenstein empfehlen, welches mir u.a. auch Pate für diesen Artikel stand.

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